Somewhere over the rainbow.
Zu den Arbeiten von Andreas Werner
Text: Anja Werkl

 

English Abstract
The central topos of Andreas Werner’s pictures is the landscape. Going back to Romantic painting, landscape exists as an aesthetic ideal and utopian idea, although in Werner’s work it reveals itself as an ambivalent image that seeks clarity and unambiguity, on the one hand, which is achieved by stringent ornamentation and graphically geometric and clearly outlined forms, and on the other, ambiguity and diffuseness resulting from painterly effects.

Werner’s pictures are not mimetic representations of real landscapes, but constructed surrogates of landscape: mostly unpopulated idylls that speak of the fiction of unspoilt nature in preindustrial eras. The dream of Arcadia has science fiction-like-features, however, and makes it clear that the emotionally colored idea of an ideal Arcadian harmonious world exists ultimately solely as a pictorial fiction.

 

2010 stürmte Over the rainbow in einer Neuinterpretation des hawaiianischen Sängers Israel Kamakawiwoʻole (1959–1997) die Charts des deutschsprachigen Raumes und blieb für Wochen an ihren vordersten Plätzen gereiht.1 Obwohl von dem Sehnsuchtslied, das für die Verfilmung des Kinderbuchklassikers Zauberer von Oz geschrieben und ursprünglich von Judy Garland (1922–1969) gesungen wurde, seit seinem Entstehen Ende der 1930er Jahre zahlreiche mehr oder weniger erfolgreiche Versionen von Interpreten und Interpretinnen unterschiedlichster Musikstilrichtungen aufgenommen wurden 2, scheint es gerade Anfang des dritten Jahrtausends, für dessen Umschreibung der Begriff Krisenzeitalter von Eric Hobsbwam (1917–2012)3 zum geflügelten Wort geworden ist, als eskapistische Vision noch einmal besondere Geltung erlangt zu haben. Irgendwo, hinter dem Regenbogen jedenfalls, so heißt es in diesem Lied, gibt es ein märchenhaft schönes Land, in dem alle Träume und Wünsche in Erfüllung gehen.

Mit Verweis auf den Inhalt des Liedes und Blick auf die Arbeiten von Andreas Werner, die sich thematisch vornehmlich mit idyllischen Landschaften auseinandersetzen, wäre es jedoch zu kurz gegriffen, in den Bildern Darstellungen eines neuzeitlichen Arkadiens, jenem längst vergangenen Land der Träume, das für Nicolas Poussin (1594–1665) auch dem Tod seinen Schrecken nimmt4, erkennen zu wollen. Die inhaltliche Beschäftigung mit der Idylle bei Werner ist geprägt von einem einschneidenden Erlebnis aus Kindertagen: Die ersten Kindheitsjahre in der DDR aufwachsend und einen mitunter von Bespitzelungen und Stasi-Besuchen durchwachsenen Alltag verlebend, flüchtet Werners Familie kurz vor dem Fall der Berliner Mauer 1989 nach Österreich und erfährt den Zusammenbruch des Kommunismus. Eine der letzten großen realpolitischen Utopien fand damit auch für das Kind Andreas Werner von einem Tag auf den anderen ihr plötzliches Ende.

Unter Aufhebung ihrer alltagssprachlich geprägten, einen unerreichbaren Zustand umschreibenden Bedeutung ist die Utopie als konkrete Utopie zentraler Begriff der Gesellschaftskritik Ernst Blochs (1885–1977). Nach Bloch antizipiert das utopische Bewusstsein in Wachträumen und aus einer Mischung von nüchterner Analyse und Sehnsucht nach Veränderung eine bessere Welt.5 Der real existierende Sozialismus führt für ihn zur erfüllten Utopie, auch wenn sich Bloch entstehender Problematiken eines realisierten marxistischen Systems durchaus bewusst ist.6

Vielfach kam mit dem Ende des ostdeutschen Kommunismus – die herbe Enttäuschung seines Denkens musste Ernst Bloch schließlich nicht mehr erleben – auch die Rede vom Ende der Utopie überhaupt auf, doch wie Richard Saage (* 1941) festgestellt hat, konnte das utopische Denken in Science-Fiction, Zukunfts- und Trendforschung und an der Börse überleben und hat zur Entwicklung neuer kleinerer Utopien in einer gentechnisch manipulierten und computergesteuerten Welt geführt.7
Die Utopie scheint auch zentral für ein tieferes Verständnis der Wernerschen Bilder zu sein und zeigt sich wohl am eindrücklichsten in der Wahl des Motivs der Landschaft, lässt sich allerdings auch in den möglichen Begründungen finden, warum Andreas Werner in einer Zeit, in der installative Arbeiten und multimediale Ausstellungen in der bildenden Kunst die führenden Formate sind, am zweidimensionalen Tafelbild festhält und eine Stilistik wählt, die zwischen Abstraktion und Figuration changiert.

Die Landschaft als Thema der bildenden Kunst hat eine lange Tradition und spielt nicht nur im Westen, sondern auch in Teilen Ostasiens8 eine gewichtige Rolle. Durchwegs scheint mit ihr die Verbildlichung eines gesellschaftlichen Ideals verbunden, die über die Darstellung eines naturnahen, idyllischen Lebens von maßvollen, enthierarchisierten Zuständen in harmonischen Mensch-Natur- Verbindungen spricht. Doch ist die Landschaft als Symbol auch doppeldeutig: Mit ihr ist nicht nur das Bild eines eskapistischen und romantischen Rückzugs vor der Komplexität des Alltages verbunden, der historisch mitunter auch gesellschaftskritische Dimensionen annehmen kann, sondern auch ein planerisches Ideal, wie es sich u.a. in gegenwärtigen öko-politischen Bestrebungen zeigt. Unter diesem Gesichtspunkt ist interessant, dass die Landschaft als durch die bildende Kunst geprägte, breitenwirksame Vorstellung9 im Sinne eines märchenhaften Arkadiens einerseits in die Vergangenheit weist, gleichzeitig allerdings im Sinne öko-politisch utopischen Denkens Zukunft inkorporiert.10 In diesem Spannungsverhältnis des Landschaftsbegriffes verorten sich die Arbeiten Andreas Werners: Sie sind auf den ersten Blick landschaftliche, zumeist menschenleere Idyllen, die von einer Fiktion unangetasteter Natur in vorindustrieller Zeiten sprechen und auf Landschaftsausschnitte von Bergen, Meeren und Seen blicken lassen, in ihrer zumeist sehr künstlichen, science-fictionhaften Farbigkeit allerdings Zukünftiges heraufbeschwören und ihre eigene Konstruiertheit entlarven.

In feinen Bleistiftzeichnungen werden u.a. felshafte Erhebungen und geografische Besonderheiten der Flora dargestellt, an die monochrome Schattenflächen und Wasserspiegelungen gesetzt und Flächen ornamentaler, oft selbst am Computer entwickelter Muster, die auch eine Anspielung auf Benoît Mandelbrots (1924–2010) Fraktale sind, collagiert. Das Changieren zwischen Ornamentik und Illusionismus, zwischen abstraktem Dekor und figurativer Darstellung innerhalb einer Bildfläche, erinnert an den Wiener Jugendstil und in Ansätzen an die amerikanische Pattern and Decoration Kunstbewegung der 1970er Jahre11. Einerseits bietet das Ornament Möglichkeiten der Betonung von Zweidimensionalität, die als grundlegend für die Wirkung bildhafter Fiktionalität anzusehen ist, andererseits glaubte Alois Riegl in der Kontinuität der dekorativen Verwendung über die Epochen hindurch ein wesentliches gestalterisches Element unterschiedlicher Kulturen entdeckt zu haben.12 Das Fehlen jeglichen Bildkörpers – Werner verwendet als Bildträger unterschiedlichste Papiersorten, von gealtertem Schreibmaschinenpapier bis Kozo-Papier – unterstreicht zudem auf ein Weiteres den fiktionalen Charakter des Dargestellten. Neben der Technik der Collage und einem Experimentieren mit Formen unterschiedlichster Oberflächenbeschaffenheit, die u.a. von Klebebändern und Schleifpapieren herrühren können, finden auch verschiedene Drucktechniken wie Siebdruck, Radierung, Lithografie und Holzschnitt Eingang in die Bildproduktion. In der Ambivalenz von Strenge der Ornamentik, der grafischen geometrischen und auch klar umrissenen Formen und formaler Unbestimmtheit malerischer Aspekte, die zumeist durch einen Farbauftrag mittels Spray erreicht wird, werden von Werner Landschaftsbilder geschaffen, die in ihrem Ausdruck gespenstischer Stille den Landschaftsgemälden der Romantik nahe kommen. Hier wie dort soll das Bild weniger als mimetische Darstellung eines realen Landschaftsausschnittes denn als konstruiertes Surrogat von Landschaft schlechthin den Betrachter und die Betrachterin emotional rühren und in wechselnde Stimmungen versetzen. Die Landschaft existiert als ästhetische Idee, umschreibt als Stimmungslandschaft allerdings kein normatives Ideal wie es für die heroischen Landschaften des Barock und Rokoko gegolten hat, sondern spricht von einem experimentellen Formbewusstsein, das historisch gesehen für den Übergang zur abstrakten Malerei essenziell wurde.13

Wenn uns Andreas Werner motivisch an den spezifischen Schwebezustand gesellschaftspolitischer Utopien zwischen Traum und Realität gemahnt, so tut er das auch in Hinblick auf die großen utopischen Vorstellungen im Bereich der bildenden Kunst durch die Wahl seiner künstlerischen Mittel: das Tafelbildformat und eine für ihn charakteristische Stilistik, die zwischen Abstraktion und Figuration steht. In beidem nimmt er jene Fäden wieder auf, die von den Jungen Wilden der 1980er Jahre fallen gelassen wurden. In den Nachkriegsjahren feierte die Abstraktion ihre Hochblüte, bis sie in den 1970er Jahren durch die Erweiterung künstlerischer Praxis und dem sogenannten „Ausstieg aus dem Bild“14 von ereignishaften Kunstformen abgelöst wurde. Die Diskurse der Moderne wurden schließlich in den 1980er Jahre wiederaufgenommen, als man sich dessen gewahr geworden ist, dass die Kunst ihre strukturellen Grenzen erreicht hat, die Utopie der Einheit von Kunst und Leben sich nicht restlos verwirklichen hat lassen. Als Reaktion darauf wird der Siegeszug des Tafelbildes in den 1980er Jahren verständlich, denn das Bildformat zieht klare Grenzen zwischen Fiktion und Realität.15 Diese Eigenschaft des Formates macht sich auch Andreas Werner zunutze, betont in seiner Art Bilder zu produzieren ebenso die Bildhaftigkeit der Darstellung und ist sich dabei der Eigenschaft des Bildes als fiktionales Gegenüber bewusst, auch wenn er wie andere Künstler und Künstlerinnen seit den 1990er Jahren eine installative Form der Präsentation in einer Art Gruppen- und Reihenhängung wählt, in der einzelne Bilder in Beziehungen zueinander gebracht werden und damit die Grenzen des singulären Bildes mitunter zu überschreiten versucht.16

Den Ansätzen der Abstraktion, die in den Arbeiten als geometrische und stark stilisierte Formen auftritt, scheint Andreas Werner nicht restlos zu vertrauen, denn der Generalbass der Bilder ist ein figurativer, der sich schon in der Bildkomposition als Ausloten von perspektivischer Tiefenillusion im Verhältnis zu Horizontlinien zu erkennen gibt. Die Annahme Werner Haftmanns (1912–1999), dass durch die Abstraktion ein menschliches Bewusstsein herstellbar wäre, das „Barrieren der Sprache, Sitte, Geschichte, Rassegefühl und Folklore“17 überwunden hat, steht in Andreas Werners Bildwelt jedenfalls auf wackeligen Beinen. Die Utopie einer allgemeinverständlichen Weltsprache durch Abstraktion, die in den Nachkriegsjahren auch zum Signum für Freiheit und Demokratie wurde, gilt in der Nachfolge der Jungen Wilden, die sich wieder bewusst für das Produzieren figurativ-gegenständlicher Bilder entschieden haben, auch heutzutage in seinem totalitären Anspruch als fragwürdig.18 Es erscheint stringent, dass Andreas Werner in der Anwendung beider stilistischer Mittel einen ungewissen Zustand formuliert, in dem ein Kippen in das eine oder andere Extrem denkbar, aber für das Bild und seine Wirkung auf den Betrachter und die Betrachterin nicht zielführend ist, sich also Momente abstrakt-objektivistischer Sprache mit subjektiv-figurativen Elementen die Schwebe halten. Der sorgsame Umgang mit Material und die Behutsamkeit in kompositorischen Fragen, die charakteristisch für Andreas Werner sind, finden Ausdruck in einer ästhetischen Leichtigkeit und Zartheit, die uns den Glauben schenkt, es gäbe nicht nur das eine Land jenseits des Regenbogens, von dem die kleine Dorothy aus Kansas singt, sondern mindestens so viele Länder wie es Regenbögen gibt, weltweit.


1 Vgl. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Israel_Kamakawiwo%CA%BBole [Stand: 6.8.2014]
2 Vgl. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Over_the_Rainbow [Stand: 8.8.2014]
3 Vgl. HOBSBAWM Eric, Das Jahrhundert der Arbeiterbewegung, in: UTOPIE kreativ, Heft 109/110 (Nov./Dez. 1999), 7-18. [online abrufbar: http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/109_10_Hobsbawm.pdf; Stand: 6.8.2014]
4 Das Bild von Nicolas Poussin, auf das in diesem Zusammenhang verwiesen sei, hat den Titel Et in Arcadia ego (1638–39) und trägt die aus dem lateinischen übersetzte Inschrift: „Ich, der Tod, herrsche auch über Arkadien, das friedliche Sehnsuchtsland der Schäferidyllen“. Zit. nach GOMBRICH Ernst H., Die Geschichte der Kunst, S. Fischer Verlag: Frankfurt a. M. 1997 (16., erw., überarb. Aufl.), 395.
5 Vgl. BLOCH Ernst, Das Prinzip Hoffnung, Bd. 1, Suhrkamp: 1974, 121ff.
6 Ebd. 235ff.
7 Vgl. SAAGE Richard, Renaissance der Utopie?, in: UTOPIE kreativ, Heft 201/202 (Juli/Aug. 2007), 605–617. [online abrufbar: http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/201-202Saage.pdf; Stand: 6.8.2014]
8 Vgl. Landschaftsmalerei, in: BAMBACH-HORST Eva et al. (Hg.), Der Brockhaus, Kunst: Künstler, Epochen, Sachbegriffe, F.A. Brockhaus: Mannheim-Leipzig 2006 (3., aktual. überarb. Aufl.), 513f.
9 Vgl. ANDERS Kenneth, Landschaft, in: TREBESZ Achim (Hg.), Metzler Lexikon, Ästhetik: Kunst, Medien, Design und Alltag, Verlag J.B. Metzler: Stuttgart-Weimar 2006, 231ff.
10 Vgl. EISEL Ulrich, Die schöne Landschaft als kritische Utopie oder als konservatives Relikt, in: Soziale Welt –Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis, Heft 2, Jg. 33, 1982, 157–168. [online abrufbar: http://www.ueisel.de/fileadmin/dokumente/eisel/Schoene_Landschaft/Eisel_Schoene_Landschaft043.pdf; Stand: 6.8.2014]
11 DAMUS Martin, Kunst im 20. Jahrhundert. Von der transzendierenden zur affirmativen Moderne, Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbeck bei Hamburg 2000, 356.
12 RIEGL Alois, Stilfragen. Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik, Verlag Georg von Siemens: Berlin 1893, IX.
13 Vgl. FRANK Hilmar, Landschaft, in: BARCK Karlheinz et al. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe, Bd.3, Verlag J.B. Metzler: Stuttgart- Weimar 2010, 617–664, 624ff.
14 Die Formulierung „Ausstieg aus dem Bild“ geht auf den Kunsthistoriker Laszlo Glozer (* 1936) zurück und umschreibt die Erweiterung der Kunst um 1960 in Form von raumgreifenden, plastischen Installationen, theatralischen Aktionen oder immateriellen Konzepten, welche die Dominanz des zweidimensionalen Tafelbilder für überwunden erklären. Vgl. SCHNEEDE Uwe M., Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert: Von den Avantgarden bis zur Gegenwart, C.H. Beck: München 2010 (2., erw. Aufl.), 253.
15 Vgl. MEIER Christian J., Die Dichotomie Figuration und Abstraktion in der deutschen Kunst von 1945 bis 1985, epubi: Berlin 2012, 84. 16 Vgl. DAMUS (2000), 386ff.
17 HAFTMANN Werner, Malerei nach 1945, in: HARRISON Charles, WOOD Paul (Hg.), Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, Bd. 2, Hatje Cantz: Ostfildern-Ruit 2003, 755–758, 756.
18 Vgl. MEIER (2012), 10.